Seit knapp 15 Jahren ist Monika Kelting bei der Obdachlosenhilfe des Deutschen Roten Kreuzes des Kreisverbandes Hamburg-Nordost e.V. dabei. Eine 78-jährige Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, obdachlosen Menschen zu helfen. Auslöser für sie war ein sehr teures, halb aufgegessenes Steak in einem New Yorker Restaurant.

„Ich war vor 20 Jahren mit meinem Mann in New York und wir waren in einem sehr, sehr teuren Restaurant. Wir haben Essen liegen lassen, weil es zu viel war. Wir haben es nicht geschafft! Das halbe Filetsteak haben wir liegengelassen! Und ich komme raus und es wühlt einer in der Mülltonne rum. Und da habe ich gesagt: So etwas darf es nicht geben auf der Welt. Das ist so ungerecht, das darf es nicht geben.“ Zu dem Zeitpunkt beschließt Monika, dass sie helfen will. Sie hatte damals noch ihren Job als Fußpflegerin. Sie hatte viele Kunden und ein großes Haus. Das sollte aber weg, stattdessen eine Wohnung – damit sie mehr Zeit hat für die Obdachlosenhilfe. Auch die Kunden wollte sie langsam auslaufen lassen und keine Neuen mehr annehmen.

Genau das machte Monika auch. Das Haus wurde verkauft und im Fernsehen sah sie dann den Mitternachtsbus von der Diakonie. Daraufhin schrie sie regelrecht: „Das mache ich!“

Helfen statt reden

Mittlerweile ist sie seit 15 Jahren aktiv bei der Obdachlosenhilfe des Deutschen Roten Kreuzes des Kreisverbandes Hamburg-Nordost e.V. Kollegen nennen sie sogar die „Mutter Teresa der Hamburger Obdachlosen“. Sie selber möchte diesen Titel gar nicht hören. „Ich tue lieber und rede nicht.“ Das ist einer der ersten Sätze, den Monika in unserem Interview erzählt. Wir haben sie begleitet im DRK-Transporter, bei der abendlichen Ausgabe. Jeden Montag und Donnerstag fährt er ab 20 Uhr zur Mönckebergstraße, dann erhalten Obdachlose unter anderem Essen, Trinken und Decken.

Und das ist notwendig wie nie: Anfang November hat der NDR einen Bericht über die Obdachlosigkeit in Hamburg rausgebracht. Da sprechen die Hamburger Wohlfahrtsverbände und die Sozialbehörde von mindestens 3.000 Obdachlosen in Hamburg – vor sechs Jahren sollen es noch unter 2.000 Menschen gewesen sein. Menschen, mit denen wir gesprochen haben, berichten sogar von rund 20.000 Obdachlosen in Hamburg.

Doppelt so viele Obdachlose wie vor 15 Jahren

Dass die Lage sich verschärft, kann auch Monika bestätigen. „Wir haben heute circa 70 bis 80 Menschen hier am Bus. Und das ist ganz viel für so ein Regenwetter. Sonst kommen über 100. Als ich mal anfing vor 15 Jahren, da hatten wir nur die Hälfte am Bus.“ Monika wünscht sich, dass die Hamburger Politik ein großes Haus für Obdachlose baut, damit jeder ein kleines Zimmer hat. Allerdings macht sie klar, dass es dafür offensichtlich keine Priorität in der Stadt gibt: „Da wird in Blankenese ein Weg gebaut für Kröten, für die Krötenwanderung. Dafür ist Geld da, aber es ist kein Geld da für Obdachlose. Das ist auch nicht gewollt von der Stadt.“ Zwar sei in diesem Jahr in Niendorf ein Gebäude mit Platz für über 100 Obdachlose geschaffen worden – ein Anfang, aber viel zu wenig, so Monika. Vor allem für kranke Obdachlose sollte es mehr Möglichkeiten geben unterzukommen, sagt sie.

Den Obdachlosen Würde geben

Dann erzählt Monika eine kurze Story, die wohl auch die Politiker mal hören und lesen sollten: „Ich hatte ein Erlebnis zum Beispiel, einer der kam zwölf Jahre hier zu uns und der sagt zu mir, ich bin jetzt zwölf Jahre auf der Straße. Ich habe jetzt Krebs. Ich möchte wenigstens in einem Bett sterben. Und das hat was mit Würde zu tun. Das muss einfach sein. Das muss möglich sein. Ich begreife es nicht. So eine reiche Stadt. Ich kann mich da immer wieder drüber aufregen.“

Neben einem Gebäude für die Obdachlosen ist das Thema Toiletten ein wichtiger Punkt für Monika. Da sollte es etwa Gutscheine geben: „Er will ja quasi auch nur auf Toilette. Wie wir alle.“

Woran es fehlt bei den Entscheidungsträgern? Monika ist sich sicher, dass der Wille fehlt. Bei der Sozialsenatorin würde man merken, dass sie mit Obdachlosen null am Hut habe. „Das geht ihr am Arsch vorbei“, sagt Monika.

Das Leid der Obdachlosen

Monika kennt die Menschen, die schon länger zum Bus kommen. Für die bekannten Gesichter ist es so, als würden sie zum Einkaufen gehen. Bei „Neuen“ merken die Helfer des DRK anfangs eine gewisse Scham. Vor allem Frauen schämten sich dafür. Bei ihnen ist es oft die Altersarmut, die sie auf die Straße oder für die Versorgung zum Bus treibt.

Monika und ihren Kollegen merken, wenn einer abends nicht gut drauf ist. Da sagen dann auch die Helfer mal: Was hat der wieder für eine Laune heute? Monika macht aber einen wichtigen Punkt klar: „Weißt du, wie sein Tag verlaufen ist? Weißt du, wie oft er bespuckt worden ist, getreten worden ist, sein Becher zum Sammeln wurde mit dem Fuß umgekippt oder er wurde beschimpft. Dann hätte ich auch abends schlechte Laune.“ Und dann erzählt sie auch noch davon, dass Obdachlose angepinkelt werden, wenn sie irgendwo liegen.

Es gibt viele Dinge, über die wir nicht nachdenken, wenn es um das Thema Obdachlosigkeit geht. Monika erzählt von dem Beispiel, das ihr ein obdachloser Mann geschildert hat. „Lass doch mal die Haustür auf und Fenster auf und wenn du dann ruhig schlafen kannst, dann bist du richtig klasse. So schlafen wir jede Nacht. Immer mit dem Gedanken, werde ich überfallen, kommen da Ratten oder zündet mich einer an. Die gehen auch mit Schuhen in den Schlafsack rein, damit sie schnell weglaufen können. Wir gehen nicht mit Schuhen ins Bett.“

Obdachlosigkeit trifft alle gesellschaftlichen Schichten

Und wen trifft die Obdachlosigkeit? Das geht weit über den Kreis von Drogen-Geschichten hinaus. Monika spricht von einem Rechtsanwalt, einem Vorstandsmitglied einer großen Wohnbaugesellschaft, einem früheren Millionär und einem 19-Jährigen. Sie sind auf der Straße gelandet, weil sie nach dem Tod der Mutter abgestürzt sind, sie ausgeraubt oder vor die Tür gesetzt wurden. Schicksale, die die Menschen, die jeden Tag an ihnen vorbeigehen, nicht mal erahnen könnten. „Es ist ja kein Abschaum. Es sind völlig normale Menschen“, stellt Monika richtigerweise klar. Ein Appell an Jeden: „Wenn man nicht immer Geld geben will, dann soll man das auch nicht. Aber angucken und lächeln.“

Wie der Weg aus der Obdachlosigkeit doch klappen kann

Es gibt sie aber auch, die positiven Stories. Die obdachlosen Menschen, die es von der Straße wieder in ein geregeltes Leben geschafft haben. Da fällt Monika sofort Lemmi ein. Der lag vor zehn Jahren genau da, wo wir das DRK bei der Ausgabe begleitet haben. Zu dem Zeitpunkt hatte Monika immer jemanden, der ihr bei der Ausgabe geholfen hat. Als der Helfer einmal fehlte, sprang Lemmi ein. Da hat sein Werdegang begonnen.

Leicht sei das aber nicht, berichtet Monika: „Von jedem Obdachlosen der Werdegang ist nur mit Hilfe anderer. Alles alleine schaffen sie nicht. Sie können es nicht schaffen, weil auch die Politik dann selbst denen einen Stein in den Weg legt. Das ist so viel Bürokratie, das können die gar nicht schaffen. Wie sollen sie das auch? Die Papiere im Rucksack und verfettet von Brötchen oder was auch immer.“ Lemmi hatte aber eine wichtige Eigenschaft, um es zu schaffen: Den Willen. Und man darf noch nicht lange auf der „Platte“ sein. „Wenn man ein Jahr auf der Platte ist, schafft man es gut. […] Ab drei Jahre ist es eigentlich aussichtslos“, sagt Monika.

Zuerst hat sich Lemmi umgeschaut und ein kleines Zimmer bekommen. Danach folgte eine kleine Wohnung, die unter anderem mithilfe von Monika innerhalb von drei Wochen eingerichtet wurde. Dann hat sich Lemmi eine Arbeit gesucht – und auch eine bekommen. Erst zehn Stunden die Woche, dann 15 und mittlerweile 20. Er ist im Betriebsrat und hat eine feste Anstellung, erzählt uns Monika. Wie stolz sie auf Lemmi ist, das haben wir in jedem einzelnen Wort gemerkt, dass sie uns mit auf den Weg gegeben hat. Und: Lemmi kommt weiterhin zu Monika und hilft ihr aus Dankbarkeit.

Der Wille als eine Art Schlüssel zum Erfolg

Woran es liegt, dass Menschen nicht von der Straße wegkommen? Es ist der von Monika angesprochene Wille: „Wenn einer resigniert, dann ist er verloren.“ 

Fazit: Wir dürfen über Obdachlosigkeit sprechen – und müssen es tun

Umso bewundernswerter aus unserer Sicht, wenn es jemand schafft – wie Lemmi. Aber dass das kein leichtes Unterfangen ist, merken wir an Monikas Erzählungen. Wie soll der Wille durchhalten, wenn jemand bespuckt, beleidigt oder sogar angepinkelt wird?

Unser Fazit nach dem Besuch bei der DRK-Obdachlosenhilfe und passend zu unserem Sendungs-Thema: Dürfen wir das? Über Obdachlosigkeit sprechen? Ja. Und wir sollten. Viel mehr als es aktuell der Fall ist.

Diese Seite teilen
FacebookmailFacebookmail