Dörte Maack war Zirkusartistin. Sie hatte sogar eine eigene Kompanie, mit der sie rumgetourt ist. Aber plötzlich wurde bei Dörte alles finster. Mit 25 Jahren bekam sie die Diagnose „Retinitis pigmentosa“. Das ist eine seltene Augenkrankheit, bei der sich das Sehfeld der Patientinnen und Patienten immer weiter verengt, bis sie über kurz oder lang blind werden. Bei Dörte hat es knapp sechs Jahre gedauert. Silvana hat sie für unsere Sendung interviewt.

Und hier gibt’s das ganze Interview zum Nachlesen

Silvana Gräper: Dörte, was hast du in dem Moment gedacht, als du wusstest, ich werde blind?

Dörte Maack: Als der Augenarzt diese Diagnose gestellt hat, habe ich gedacht, das Leben ist zu Ende. Ich habe gedacht, entweder stimmt das nicht, was er gesagt hat und ich werde nicht blind oder wenn doch, dann nehme ich mir das Leben – ich konnte mir nicht vorstellen, wie das gehen könnte.

Silvana Gräper: Jetzt mal ganz stumpf gefragt – wieso quatschen wir jetzt hier noch? Was hat dich davon abgehalten, nicht zu gehen?

Dörte Maack: Sehr gute Frage. Ich habe dann erstmal versucht, alles abzuwenden und alle möglichen Versuche (bis hin zu Geistheilern) gestartet, die alle gescheitert sind. Aber mit der Zeit konnte ich immer weniger sehen. Ich habe gemerkt, das Leben ist ja noch da und ich bin ja noch da. Ich kann noch so viele Sachen machen. Ich habe Menschen kennengelernt, die blind oder sehr stark sehbehindert sind und gesehen, was die alles machen und Bücher drüber gelesen. Außerdem habe ich gemerkt: all das, was ich mir vorher vorgestellt habe, wie es ist, blind zu sein, das stimmt so nicht.

Silvana Gräper: Worauf hattest du denn konkret am meisten Angst?

Dörte Maack: Ich bin hilflos, hässlich, einsam und nutzlos. Das waren so die Bilder, die in meinem Kopf waren – gar nicht bewusst. Aber als ich damit konfrontiert war, irgendwie schon. Und ich war so das Opfer der eigenen Vorurteile.

Silvana Gräper: Und wann kam der Moment, wo du gemerkt hast, dass das nicht stimmt?

Dörte Maack: Also es gab einen ganz zentralen Moment. Da war ich bereit, mir richtige Hilfe zu holen. Also nicht bei irgendwelchen Scharlatanen, sondern echte Hilfe. In einer Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte. Und dann habe ich den Berater gefragt: So – das kann ich nicht machen, wenn ich gar nichts mehr sehe?! Der Berater hat dann den absolut entscheidenden Satz gesagt: Na ja, eigentlich kannst du als Blinde alles machen. Wenn es scheitert, dann an der mangelnden Fantasie der Sehenden. Und der Berater, der mir das gesagt hat, war selbst blind. Ich war diejenige, die zwar auch so gut wie blind war, aber ich habe noch gedacht wie eine Sehende. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man alles machen kann, aber ich habe mich drauf eingelassen.

Silvana Gräper: Ich bin ja eine Sehende und kann das daher nicht verstehen – also nimm mich doch bitte mit in deine Welt. Wie dunkel ist für dich als Blinde die Welt?

Dörte Maack: Das war auch so eine Vorstellung von mir. Du denkst, es ist sozusagen ewige Nacht – die ewige Nacht der Blindheit. Das macht man so irgendwie unbewusst im Kopf wenn man es mal gehört hat. Wenn du nicht siehst – und ich sehe jetzt noch – ob die Sonne scheint und Lampen sehr hell sind, also wirklich sehr, sehr wenig. Dann ist es trotzdem – wenn ich quasi nicht sehe – nicht dunkel, weil man dunkel nur dann sehen kann, wenn man gesunde Augen hat. Also schwarz kannst du nur dann sehen, wenn du auch weiß sehen kannst. Mein Gehirn weiß so nicht, was es melden soll. Es meldet dann – wenn jetzt nicht ein sehr helles Licht ist, was ich irgendwie sehe, je nach Lichtzustand – eher ein helleres oder eher ein dunkleres grau. Das klingt jetzt auch ein bisschen trist, aber so ist es ungefähr. Es ist dann eher heller, eher dunkel, je nach dem. Aber es ist nie ganz schwarz, aber es ist auch nie ganz weiß.

Silvana Gräper: Was würdest du sagen, wie geht es dir heute? Du bist jetzt schon seit über 30 Jahren blind. Wie geht man durchs Leben?

Dörte Maack: Also für mich ist das jetzt Normalität. Die allermeiste Zeit ist es absolut normal. Ich denke da nicht viel drüber nach. Es fällt mir immer dann ein, dass ich etwas anders machen muss oder bedarf habe, wenn Situationen besonders sind. Also wenn jetzt z.B. die Bahn nicht fährt, dann fährt stattdessen ein Bus und ich weiß nicht, wo der abfährt. Oder es gibt eine Baustelle, wo vorher keine war. Oder wenn ich mit Produkten in der Küche oder Kosmetik zu tun habe, die ich vorher nicht hatte. Also immer, wenn etwas anders ist und ich es noch nicht mit den Sinnen kenne oder wo ich noch nicht weiß, wie gehe ich jetzt damit um, ist es eine Herausforderung.

Silvana Gräper: Gibt es auch einen Vorteil, blind zu sein? Gibt es auch einen Moment, wo du vielleicht auch gedacht hast, dass es gar nicht schlimm ist, dass es jetzt so ist – dass es vielleicht sogar ganz gut ist?

Dörte Maack: Also dass es gar nicht schlimm ist, wie ich mir das vorher vorgestellt habe. Das denke ich insgesamt. Aber wenn du jetzt nach richtigen Vorteilen fragst, natürlich bei all den Bildern, die jetzt aktuell auch wieder in den Medien sind – diese ganzen Bilder von Krieg und Zerstörung und so weiter. Da reicht es schon, wenn man es sich ein bisschen vorstellt. Die muss ich nicht wirklich nicht sehen. Und dann entwickelt man einfach so über die Zeit auch Möglichkeiten, wo ich vielleicht ein paar Dinge als Kompensation stärker tue. Ich glaube, zuhören ist manchmal leichter, weil man nicht abgelenkt ist von dem was man sieht. Es gibt immer mal wieder Situationen, wo ich denke, es ist auch nicht immer nur gut, wenn man sieht. Es gibt einen Spruch von mir: für mich sehen alle Männer aus wie George Clooney. Einerseits irgendwie erst mal eine schöne Vorstellung, aber es ist auch nicht ganz falsch. Als ich bin blind wurde war ich so um die 30 und Männer, die ich damals attraktiv fand und mit denen ich zu tun hatte, sahen aus wie Männer wie um die 30 aussehen, insbesondere mein eigener Mann. Und die sind jetzt – na ich bin 56 – auch meinem Alter und sehen nicht mehr aus wie 30. Aber das sehe ich ja nicht.

Silvana Gräper: Wo wir aber schon über Oberflächlichkeiten reden: Social Media – ist das für dich in deinem Alltag ein Thema. Und wenn ja, wie konsumierst du das?

Dörte Maack: Computer und Smartphones sind mittlerweile alle so ausgestattet, dass man auch blind damit arbeiten oder damit umgehen kann. Mittlerweile wird Bildbeschreibung auch stündlich besser durch die KI. Ich habe jetzt alte Fotos von mir mit ChatGPT beschreiben lassen – das ist Wahnsinn. In der Bildbeschreibung ist jetzt nicht einfach nur “Personen auf dem Foto mit langen Haaren lacht” sondern es gibt wirklich eine Beschreibung, mit der du etwas anfangen kannst. Gleichzeitig ist es aber noch so, dass gerade mit Facebook aufgehört habe. Aber das habe ich eine ganze Weile auch genutzt. Natürlich posten die Leute dann Bilder, die irgendwie lustig sind. Wenn dann allerdings keine Beschreibung dabei ist und die Maschine es auch noch nicht so gut beschreiben kann, dann hast du nichts davon. Wenn es z.B. ein Gemälde ist, sagte die Beschreibung immer – solange ich noch bei Facebook aktiv war: “Könnte Kunst sein“. Ja, das sagt dir natürlich gar nichts.

Ich habe aber auch einen Kollegen, der ist sehr, sehr erfolgreich mit TikTok Videos. Er ist auch so gut wie blind – also gesetzlich ist er blind – und macht Videos und guckt sie sich natürlich auch an, weil er so sein Ding ist. Er ist sehr erfolgreich, sein bestes Video, hat circa 38 Millionen Klicks. Er ist quasi ein blinder Videomacher. Wo du gefragt hast, wo fehlt den Sehenden, die Fantasie: Ich glaube mir hätte die Fantasie früher auch gefehlt, dass blinde Menschen Filme oder Fotos machen. All das gibt es.

Silvana Gräper: Kommen wir zu einer großen Leidenschaft, die du hast: dem Einrad fahren.

Dörte Maack: Ja, das ich habe das gelernt – oh, wie lange ist das her? Ich war Anfang 20 und habe eine Ausbildung an einer Zirkustheater-Schule in Bristol in England gemacht. Dort habe ich alle möglichen Zirkustechniken gelernt, wie z.B. Trapez und Einrad fahren. Das habe ich dort aber nicht direkt gelernt, bin aber besser geworden. Ich bin dann auch danach aufgetreten und habe mein Geld damit verdient. Mit zwei anderen Künstlerinnen hatte ich eine Company; musste aber aufhören, wo ich blind geworden bin. Dann fingen aber mein Mann und meine Kinder an, Einrad zu fahren. Da habe ich gedacht: Moment mal, das ist ja eigentlich meins und wir haben dann ausprobiert, wie es geht – ob du Einrad fahren kannst, wenn du nicht siehst. Und das ging dann. Ja, und seitdem fahre ich auch wieder auf dem Einrad.

Silvana Gräper: Wie geht das?

Dörte Maack: Es geht vor allen dann gut, wenn du mit jemandem an der Hand fährst: Dann musst du dich nicht darum kümmern, ob du jetzt irgendwie zu doll nach rechts oder zu doll nach links fährst. So ist es das Entspannteste. Ansonsten hat meine Tochter dann immer gesagt: Mama, das geht jetzt nicht, du musst auch frei fahren. Sie ist dann vor mir hergefahren und spricht oder hat sich ein Smartphone mit Musik in die Hosentasche gesteckt, so dass ich einfach eine akustische Orientierung habe. Wir machen das natürlich nicht irgendwie im Großstadtverkehr, sondern auf ganz ruhigen Straßen. Dort ist fast die größte Herausforderung, dass ich keine Möglichkeit bisher gefunden habe, Menschen deutlich zu machen, dass ich blind bin. Also es klappt ja alles, weil ich nie alleine fahre. Aber manchmal ist passiert es, dass Menschen irgendwas sagen – also es bewundern oder wie auch immer. Ich möchte dann gerne, dass sie wüssten, dass ich blind bin – aber das kann ich denen nicht sagen. Oder wenn wir an der Hand fahren ist es auch nicht so einfach, wenn uns jemand überholt und wenn es eng ist, dass wir uns ganz schmal machen. Manchmal denke ich, es wäre jetzt einfach, wenn sie wüssten: die Frau ist blind, aber es kombiniert halt nie jemand. Ich habe schon einen Blindstock in der Hand und einige Kennzeichnungen. Aber ich glaube, selbst wenn die Leute es sehen, denken sie, das ist ein Witz, dass da eine blinde Frau auf einem Einrad fährt.

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