Jeder, der beim Radio arbeitet, kennt dieses Situation auf Parties: Früher oder später muss man sich für das schlechte Radioprogramm rechtfertigen. „Ihr spielt immer das Gleiche!“ „Die Moderationen sind flach!“ Und so weiter. Warum hat das Formatradio einen so schlechten Ruf – und wenn es so schlecht ist, warum ändert sich dann nicht mal endlich etwas? experi.band-Reporter Tim steht in seinem Talk stellvertretend für alle unzufriedenen Partygäste und lässt sich von Radio-Hamburg-Morningshow-Moderator André Kuhnert den belanglosen Dudelfunk erklären.

 

André Kuhnert im Interview mit Tim Winterscheid

Tim Winterscheid: „Formatradio nervt!“ – das scheint die landläufige Meinung zu sein, wenn man sich bei Freunden und Bekannten umguckt. Aber trotzdem ist es so, dass am Ende des Tages dann jeder – oder fast jeder – Formatradio hört. Du gehörst quasi zur Speerspitze des deutschen Formatradios. Nach dem Abi bist du direkt zum Radio gegangen, hast bei Alsterradio angefangen und bist dann zu Radio Hamburg gegangen. Du machst auch immer mehr Social Media. Bei YouTube findet man dich unter dem Namen „q-nerd“. Und seit Ende 2016 moderierst du in der Radio Hamburg Morningshow an der Seite von Birgit Hahn und John Ment. Man kann sagen: Du bist wirklich formatradiogeschliffen.

AK: Formatradiosau!

TW: Erklär mal ganz zu Anfang: Was bedeutet denn Formatradio überhaupt für dich?

AK: Formatradio bedeutet für mich vor allen Dingen, dass egal welcher Moderator zu welcher Uhrzeit dem Hörer vorgesetzt wird, dass der Hörer sich immer so ein bisschen – und wenn auch nur unterbewusst – quasi zuhause fühlt bei dem Sender, den er auch einschalten wollte. Also, dass das Format besagt, dass alle Moderatoren bitte zu der Musik, die wir spielen nicht „Titel“, nicht „Stück“, nicht „Song“, nicht irgendwas sagen, sondern „Megahit“. Und das fängt da an und hört wirklich bei den kleinsten Kleinigkeiten irgendwo auf oder bei großen Aktionen oder bei der Entscheidung, dass wir Hörer duzen statt siezen. Oder dass wir uns nach einem Telefonat nicht verabschieden, sondern einfach der Hörer dann nicht mehr zu hören ist und die nächste Sache für den Hörer, der aber zuhört, anmoderiert wird, und so weiter. Das sind also alles Geschichten, die quasi vorgeben, wie die Moderatoren arbeiten. Also deren wilde Kreativität der verschiedenen Personen einfach in gemeinsame Bahnen lenkt, das ist für mich Formatradio.

TW: Es lenkt die Kreativität in gemeinsame Bahnen und sorgt natürlich auch dafür, du hast es ja gerade schon angerissen, für eine Wiedererkennbarkeit des Radiosenders. Trotzdem kann es ja auch so ein bisschen als goldener Käfig angesehen werden. Also, bist du manchmal selber genervt vom Formatradio?

AK: Ja und nein, das ist schwer zu sagen. Also, ich finde es macht es so sehr sinnig, dass alle so ein bisschen zusammenarbeiten und in die selbe Richtung schwimmen. Und die Kunst – und das ist dann eher die Herausforderung, die ich auch so liebe – ist, trotzdem innerhalb dieses Korsetts, was man so angeschnürt bekommt, immer noch ein bisschen anders auszusehen oder anders zu klingen. Oder irgendwelche anderen Aktionen zu finden, zum Beispiel die Morgensendung hat ja keine anderen Formatvorgaben als vielleicht die Abendsendung oder sowas. Die treffen sich redaktionsbedingt wahrscheinlich kaum, diese Menschen – wissen aber ungefähr, wie sie arbeiten sollen und haben ihre eigenen Kreativitäten oder ihre eigenen kreativen Ideen. Aber trotzdem sagt der Hörer immer: „Das ist mein Radio Hamburg.“ Also, das ist ja nicht, weil jetzt zum Beispiel Philipp Kolanghis jetzt abends im Studio steht, dass das für die ein völlig neues Sendergefühl wäre, nur unter dem Namen „Radio Hamburg“. Und das ist auch so ein bisschen der Reiz, finde ich, dass alle an einem Strang ziehen, das hält das Team auch so ein bisschen zusammen. Aber ja, es ist ein bisschen ein goldener Käfig oder ein Korsett.

Die Leute wissen, was sie bekommen“

TW: Gerade den letzten Punkt möchte ich nochmal aufgreifen, weil: Das ist ja interessant, du hast jetzt über die vielen positiven Aspekte des Formatradios gesprochen und nichtsdestotrotz ist das Ganze doch so ein bisschen als „Dudelfunk“ verschrien. Du kennst ja die Vorurteile auch, es heißt dann irgendwie: „Ständig kommen die gleichen Songs“, „Es wird kein Inhalt mehr vermittelt“, „Keine Moderation ist länger als eins dreißig.“ Wie kommt es denn zu dieser öffentlichen Wahrnehmung, die ja anders ist als das, was du eben beschrieben hast?

AK: Ich vergleiche das gerne mit dem Restaurant McDonald‘s oder der weltweit wertvollsten Marke Apple. Jeder der zu McDonald‘s geht, geht dahin, weil er weiß was er da bekommt. Selbst wenn er im Urlaub sagt, „Ich brauch schnell mal irgendwas auf die Hand und will jetzt nichts landestypisches essen“, der geht zu McDonald‘s rein und weiß, dass es da Cheeseburger gibt und weiß, wie das schmeckt. Und er geht nicht zu McDonald‘s rein und sagt, „Oh, hier gibt‘s ja schon wieder nur Cheeseburger!“ und ist davon überrascht. Sondern er entscheidet sich bewusst dafür und weiß, was er bekommt. Und so ist es auch ein bisschen beim Formatradio. Also wenn ich jetzt gerade mich ins Auto setze und Radio Hamburg einschalte, weiß ich ja nicht, was in der Sekunde läuft. Ich weiß aber, was mich so in ungefähr erwartet. Und genauso ist es zum Beispiel auch bei Apple, die sind von vorne bis hinten durchgestylt, auch da ist es „wie sprechen die Mitarbeiter die Kunden im Laden an“, die Läden sehen weltweit alle gleich aus, die haben nur zwei verschiedene Telefone in zwei Größen und vier Farben im Angebot und so weiter. Die Leute wissen halt also auch, was sie bekommen. Und das Angebot an Nicht-Dudelfunksachen, wie jemand das vielleicht jetzt laienhaft bezeichnen würde, das ist ja da: es gibt ja Deutschlandfunk, es gibt ja, es gibt ja, es gibt ja… Genauso gibt es bei den Printmedien nicht nur die „Bild“, sondern es gibt auch die und die und die Zeitung. Nur eben: man muss sich dafür auch bewusst entscheiden. Man kann sich nicht das größte Medium nehmen, das erfolgreichste, was alle konsumieren, weil sie wissen was sie da kriegen, und denen das anscheinend gefällt – sonst werden wir ja nicht gehört – und das dann kritisieren dafür, dass es nichts anderes macht. Würden wir was anderes machen, würden wir da wahrscheinlich hinten wegfallen, unter die Medien, die nicht so krass genutzt werden und dann würde man sich den nächstgrößeren Sender nehmen und dann sagen: „So jetzt, hier, NDR2 macht nur Dudelfunk und das auch noch gebührenfinanziert!“ Das bleibt halt immer so ein bisschen das Gleiche, man würde sich auch nicht beschweren, wenn man – wie gesagt – in ein Fastfood-Restaurant reingeht und auf einmal da Fastfood kriegt. Also, wie blöd würde man gucken, wenn man in einer Dönerbude steht und auf einmal heißt es: „Heute aber nur… Crêpes!“

TW: Wer legt das denn fest, also wenn man von Apple spricht, da weiß man, das war damals Steve Jobs oder der Designer Jonathan Ive. Wer ist das denn im Radio?

AK: Also bei uns in erster Linie trägt da zum Beispiel hier im Sender unser Chef Marcel Becker die Verantwortung. Entweder sind das Entscheidungen, die er aus dem Bauch heraus trifft und seine Entscheidungen lagen halt in der Vergangenheit immer sehr richtig, deswegen sind wir noch auf diesem Kurs, auf dem wir fahren. Oder er stützt sich auf diverse Berater, seien es zum Beispiel externe Radioberater oder Menschen, die hier intern sitzen. Man bildet irgendwelchen kreativen Gruppen, mit denen man irgendwas brainstormt. Es geht also tatsächlich immer darum, dass man sich überlegt, was könnten die meisten Menschen gut finden. Dieses berühmte „Schleppnetz“ was wir so rauswerfen, wo wir die meisten mit erreichen möchten. Es gibt natürlich immer mal wieder so Titel zum Beispiel auch – wenn wir jetzt über die Musik reden, die wir spielen – die sind so ein bisschen abseits unserer normalen Musik, damit wollen wir vielleicht die Hörer, die wir haben, ein bisschen überraschen und vielleicht einen Hörer, der uns noch nicht so hört, dazu bringen, uns mal zu hören. Weil es ja doch dieses Quentchen Überraschung ist, aber wir müssen den goldenen Mittelweg aus Vertrautheit und Überraschung finden. Genauso kommt wahrscheinlich auch immer dieses „Dudelfunk“ zustande, dass man viele Titel öfter spielt. Das kommt einfach auch daher, dass wir wissen, dass Hörer nur eine bestimmte Zeit am Stück Radio hören. Sagen wir mal so um die zwanzig Minuten – und wenn ein Hörer in den zwanzig Minuten, in denen wir, wenn wir mal Werben oder Moderation abziehen, vielleicht vier, fünf Titel spielen können, nicht ein vertrauter Titel oder gern gemochter Titel gespielt wird, dann hat er halt nicht das Vertraute bekommen, was er von uns gewohnt ist. Von daher sind wir da auch ganz doll drauf angewiesen, diesen Mittelweg aus Wiederholung – oder „Dudeln“ – und Überraschung zu finden.

Excel-driven radio“

André Kuhnert im Interview mit Tim Winterscheid

TW: Das basiert ja im Wesentlichen auf Marktforschung. Du hast gerade schon von den Beratern gesprochen, bei der Musik ist es ja zum großen Teil auch so, dass sich das alles nicht auf Bauchentscheidungen stützt, sondern auf gezielte Umfrage- und Forschungsergebnisse. Das ist ja auch mit ein Grund dafür, warum die großen, ich nenn sie jetzt mal „Mainstream“-Sender, alle ähnlich klingen, weil sie natürlich alle zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Es gibt in der Betriebswirtschaftslehre den Begriff von der „Excel-driven company“. Das besagt, dass eigentlich Entscheidungen nicht mehr aus dem Bauch heraus getroffen werden, sondern dass die meisten Entscheidungen auf Excel-Kalkulationen oder Berechnungen, Marktforschung – nenn es, wie du willst – basieren. Kann man inzwischen nicht auch so ein bisschen ketzerisch vom „Excel-driven radio“ sprechen?

AK: Ja, aber das ist einfach nur wirtschaftlich gedacht. Hier hängen viele Jobs dran, wir sind ja mittlerweile kein kleiner Sender mehr, der sich ausprobiert und mal guckt, was springt darauf an. Und selbst ein Sender, der das mal machen würde – sobald der zahlentechnisch durch die Decke schießt, bleibt er ja dabei, weil er weiß: „Oh, jetzt haben wir was gefunden, was den Leuten gefällt.“ Und spätestens nach einer gewissen Zeit, und auch wenn es Monate oder Jahre sind, gilt dann das für die als Dudelfunk. Auch die sagen ja nicht nach einem großen Erfolg, den sie mal gefahren haben, weil sie mal eine tolle Aktion gefahren haben: „Jetzt machen wir wieder was ganz anderes!“ Also da muss man schon sehr idealistisch sein und da muss Geld weniger eine Rolle spielen. Das finde ich tatsächlich ein bisschen schade durch die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender. Die hätten da durchaus mehr die Mittel und müssten nicht so auf Geld achten oder so. Aber das ist natürlich zum Beispiel im Privatfunk immer so ein Ding. Man guckt nach diesen Erkenntnissen oder den Forschungen, die man da betreibt, darauf: „Was wollen die Menschen haben anstatt das wir etwas machen, wo wir nur von überzeugt sind.“ Aber auch da: es gibt nicht nur schwarz oder weiß, es gibt ja nicht nur dieses „Excel-driven“ oder wir machen „Radio Halligalli“, sondern das ist zu 90% immer unser gewohntes Konzept, was die Leute bei uns auch erwarten und der Rest ist diese eine Würze, die wir reinschmeißen, die wir nicht nach Marktforschung irgendwie uns ausloten können. Sachen durch unsere Musikchefin Tanja Ötvös, die sagt so: „Ich glaub das könnt‘ den Hörern gefallen, was ich so weiß“ oder „Das stellen wir denen jetzt mal vor, weil: das ist einfach ‘ne coole Nummer“ oder „Michael Jackson ist tot und den spielen wir sonst auch nicht soviel, aber das ist halt ein Megastar und dann spielen wir mal was von dem.“

TW: Nimmst du da die Öffentlich-Rechtlichen mehr in die Pflicht, also das hab ich gerade so ein bisschen rausgehört. Der Journalist Theo Wurth hat mal gesagt: „Ästhetik lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken.“ Jetzt lassen sich aber natürlich wirtschaftliche Belange sehr wohl in Zahlen ausdrücken. Damit sind die Privaten schonmal raus, wenn ich dich richtig verstanden habe. Gilt deine Kritik eher den Öffentlich-Rechtlichen gegenüber, dass du sagst, die könnten mehr außerhalb des Formats machen?

AK: Ja, weil so wie wir als ein Sender auf einer Frequenz darauf angewiesen sind, zu 90% „A“ zu machen und zu 10% „B“ zu machen, haben die Öffentlich-Rechtlichen, die ja zum Beispiel auch irgendwie viel viel mehr Wellen unter sich haben: NDR1, NDR2, NDR Ostsee und wie sie alle heißen. Da hätten sie die Möglichkeit, mein Gott, dann macht NDR2 weiter sein Programm, wie das was er jetzt macht – ganz ähnlich zu unserem – schalten auch Werbung, kassieren dafür trotzdem noch ihre Gebühren. Dafür sollen sie dann aber irgendwie wenigstens ihre Welle NJOY oder sowas dafür zur Verfügung stellen, was zu machen, wo es nicht danach geht, was die Leute unbedingt wollen. Das sieht man in den Zahlen – die senden zwar keine Werbung, schön und gut, dafür hat NDR2 ein bisschen mehr…

TW: Auch viel Eigenwerbung, die ja auch für den Hörer oft wie ganz normale Werbung klingt…

AK: …genau! Alles was nicht Musik ist, ist erstmal nervig, außer es ist ein Gewinnspiel, vielleicht noch wenn man noch was gewinnen will – aber auch davon sind so viele schlecht, aber ja.

TW: Ah, wobei, gute Talkbeiträge…

AK: …ja, so wie diese hier! Gut im Inhalt!

TW: Bin froh, dass du das sagst.

AK: Würd ich tatsächlich aber auch nochmal ganz blauäugig, ohne jetzt auch jemals in deren Branche gearbeitet zu haben, sagen: Ich denke mal, wenn es jemand hat, dann die – die Mittel durch die bereits vorhandenen Gebühren, oder Manpower, mal auch was anderes auf die Beine zu stellen, ja.

Nur die Art wie die Menschen das konsumieren wollen, ändert sich“

TW: Es gibt ja nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten, sondern es drängt ja langsam noch so ein dritter Spieler mit ins Feld; das sind die Streaming-Angebote, die sich ja nicht mehr nur auf Musik stützen, sondern inzwischen auch schon verschiedene Talk-Angebote haben und auch eigentlich zunehmend mehr in Radiorichtung gehen. Jetzt mit dem Gedanken im Hinterkopf: Wo siehst du denn das Formatradio wie das, bei dem du jetzt arbeitest, in 10 Jahren?

AK: Ich denke, da ich auch sehr viel Social Media betreibe, denke ich gar nicht in diesen drei verschiedenen Bahnen, die du da gerade angesprochen hast, sondern auch bei diesen Streaming-Angeboten sind ja Menschen dahinter, die das bestücken müssen. Natürlich gibt es da diverse Algorithmen, die den Hörern irgendwie Playlisten zusammenstellen, mit Sachen die sie kennen und mögen, aber auch besonderen Sachen – wär ja Quatsch, wenn da nur unbekanntes läuft. Aber auch da müssen Menschen arbeiten, die Beiträge erstellen. Ich glaube das sind dann, wenn irgendwann nur noch das gefragt ist, trotzdem Leute, die das Handwerk wie ich gelernt haben oder lernen. Also, ich find sowas ist dann nur noch ein anderer Verbreitungsweg. Wenn die sich dafür entscheiden weil es gefragt ist, sich uns anzugleichen – nicht nur Musik, sondern auch Beiträge zu senden – dann bleibt denen auch nichts anderes übrig (wobei, „denen“ und „die“, das ist ja auch Quatsch, das so abzutrennen), aber auch mit Leuten wie uns zusammenzuarbeiten. Oder wir machen so etwas, oder Radio Hamburg fängt auf einmal an, zu sagen: „Okay, dann machen wir noch weitere Streams als die, die wir schon haben und bestücken die auch mit Wort.“ Bisher haben wir zum Beispiel Streams nebenbei laufen wo exakt mal nichts anderes läuft als Musik und dann auch mal was anderes als das was im Programm läuft.

TW: Also werden sich die beiden Spieler in den nächsten Jahren mehr annähern?

AK: Das ist genau wie, ich würd auch niemals sagen: „Das Fernsehen ist tot.“ Ich find nur diese Möglichkeit, es linear zu schauen, ich setz mich wie wir beide hier aufs Sofa, schalt den Fernseher an und guck das, was gerade läuft – das stirbt in dem Sinne vielleicht nur aus. Aber was im Gegenzug dafür – das wissen wir alle – zunimmt, ist dieses Reinziehen der Mediatheken. Auch viele Sender oder auch Öffentlich-Rechtliche bestücken ihr Material, das Internet, dann bei YouTube dann ja zum Beispiel, da hauen sie ihre Sachen hoch. Und da sind ja keine anderen Menschen im Hintergrund, die das erstellen, als die sonst Fernsehen machen. Nur der Verbreitungsweg ändert sich da ein bisschen, die Art wie die Menschen das konsumieren wollen.

TW: Was glaubst denn du, inwieweit dieser Wille nach On Demand das Format dann auch irgendwann sprengen wird? Denn bei Spotify, das wissen wir, gehen besonders so Podcast-Formate durch die Decke, kommen immer mehr auf. Das ist ja nun nichts, was man im Radio so findet.

AK: Ich glaube auch nur bedingt. Der Mensch ist immer noch weiter ein Gewohnheitstier und auch bei Spotify-Listen und ich hab mir jetzt zufällig sowieso für ein Projekt ganz viel damit beschäftigt, was einem da angeboten wird. Spotify lebt davon, dass man Musik, die man eh schon mag, entweder auch immer wieder mal vorgeschlagen bekommt, oder Musik, die der sehr ähnelt vorgeschlagen bekommt. Also auch da nicht völlig willenlos etwas neues. Also, auch da steckt ein Format dahinter. Wenn du sonst nur rockige Playlisten rauf und runter gehört hast, dann ist natürlich sehr naheliegend, dass dir Spotify sonst auch neue Rocksongs vorschlägt. Und auch sowas wie bei Amazon, wenn du kaufst – Leute die das gekauft haben oder Leute die das gehört haben, kaufen auch das oder hören auch das. Es bleibt immer dieser Gedanke dahinter, dass das nicht völlig willenlos und random ist, sondern dass da immer eine Format hintersteckt, was sich überlegt: „Wir schlagen ihm das vor, was ihm auch gefallen könnte.“ Anders können wir ja auch nicht arbeiten. Wir wissen ja nicht alle Titel, die den Leuten gefallen, sondern können auch nur was spielen, was sonst so ins Konzept passt. Klar, dass die siebzehnte David-Guetta-Nummer wahrscheinlich auch ein bisschen wie David Guetta klingt und dann spielen wir sie. Trotzdem fällt‘s natürlich unter Dudelfunk, weil es heißt: „Oh, schon wieder David Guetta!“ wobei es nunmal eine Neue ist.

TW: Das Format wird uns also noch länger erhalten bleiben und gleichzeitig geht so ein Aufruf an die Öffentlich-Rechtlichen, ein bisschen mutiger zu sein…

AK: …alle, die uns auf diesem Wege hören! […] Geht immer mit offenen Augen und offenen Ohren durch die Welt, aber schaut auf vertraute Formen. Also ich glaube dieses Thema Format das hat nicht nur mit Media und Radio was zu tun, das begleitet uns überall. Autos haben immer vier Räder, das ist vertraut, aber was drinsteckt ist was neues. Das gibt‘s glaub ich überall und ist auf alles anwendbar und nur weil es Radio ist, was wir alle konsumieren, ist es glaube ich nichts schlechteres wenn man sagt: „Formatradio“. Und das Letzte noch; selbst wenn man sagt: „Wir machen kein Formatradio“, dann ist das die eine Formatregel, die man hat – und zwar, sich an nichts zu halten. Es gibt nur Formatradio.

Interview: Tim Winterscheid
Fotos und Transkript: Jan Bredol

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